Wenn Menschen diskriminiert werden, geschieht das oft nicht allein aufgrund eines einzigen Identitätsmerkmals, was die Lebensrealität von Betroffenen außergewöhnlich stark erschweren kann. Dieses Phänomen wird mit Intersektionalität beschrieben. Du erfährst hier, was genau Intersektionalität ist, wer diesen Begriff aufs Tableau gebracht hat und warum die intersektionale Betrachtung im Verständnis von Diversity, Equity & Inclusion so wichtig ist.
Was ist Intersektionalität? Ein Beispiel aus der Praxis.
Ich möchte in das Thema der intersektionalen Perspektive über einen Coaching-Fall aus dem echten Leben einführen. Die Klientin berichtete von ihren Schwierigkeiten als Woman of Colour in einem überwiegend männlichen Führungskreis. Die von ihr wahrgenommenen oft subtilen Ausdrucksformen von Dominanz (wie z.B. sie nicht ausreden zu lassen oder Ideen abzuschmettern, um sie von einem männlichen Kollegen dann doch anzunehmen) teilte sie mit einer weiß und deutsch gelesenen Kollegin, die diesem Führungskreis ebenfalls angehörte. Meine Klientin erfuhr auch Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit: als nicht deutsch gelesene Person überlegte sie genau, was sie in welchem Ton sagte. Denn während ihrer weiß gelesenen Kollegin, die ebenfalls mit Sexismus zu kämpfen hatte, Durchsetzungsstärke attestiert wurde und ab und an als emotional angesehen wurde, wurde die Emotionalität meiner Klientin ihrer ethnischen Zugehörigkeit zugeschrieben.
Was dieses reale Beispiel zeigt, ist ein typischer Fall von Intersektionalität: Weibliche Führungskräfte erfahren als marginalisierte Gruppe vor allem in überwiegend männlichen Führungskreisen mit hoch kompetitiver Kultur Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Wird eine Frau auch noch wie in dem Beispiel aufgrund weiterer Merkmale ihrer Identität diskriminiert, spricht man von Intersektionalität oder intersektionaler Diskriminierung: Eine Person wird, in einem bestimmten Kontext oder einer Situation, aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale diskriminiert.
Kimberlé Crenshaw benennt das Phänomen.
Der Begriff Intersektionalität ist abgeleitet aus dem englischen Wort ‚intersection‘ für Schnittpunkt Schnittmenge. Wie bei einer Kreuzung überschneiden sich mehrere Diskriminierungsmerkmale in einer Person, was zu einzigartigen und oft intensiven Diskriminierungserfahrungen führt.
Die Bezeichnung für dieses Phänomen entwickelte Kimberlé Crenshaw, eine renommierte Professorin für Rechtswissenschaften an der UCLA und der Columbia University. Kimberlé Crenshaw ist eine der führenden Stimmen im Bereich der Critical Race Theory und hat maßgeblich zur Entwicklung des Konzepts der Intersektionalität beigetragen. Kimberlé Crenshaw führte das Konzept der Intersektionalität nach ihrer Analyse eines prominenten Rechtsstreits ein: Den Fall von Emma DeGraffenreid vs. General Motors.
Die intersektionale Perspektive beginnt mit dem Fall von Emma DeGraffenried.
1974 wurde Emma DeGraffenreid zusammen mit weiteren überwiegend schwarzen Frauen vom Automobilkonzern General Motors gekündigt. 1976 verklagten Emma DeGraffenreid und weitere betroffene Kolleginnen General Motors wegen sexistischer und gleichzeitig rassistischer Diskriminierung. Das Gericht lehnte die Klage ab, weil es nicht bereit war, die Kombination von Rassismus und Sexismus als Grundlage für Diskriminierung anzuerkennen. Es war der Ansicht, dass die Antidiskriminierungsgesetze entweder Rassismus oder Sexismus abdeckten, aber nicht beide Diskriminierungsformen gleichzeitig. Diese Sichtweise blendete die spezifischen und einzigartigen Diskriminierungserfahrungen aus, die schwarze Frauen
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Weitere InformationenGenau in dem Moment, als ich mich fragte, wie es sein konnte, dass ein derartig "großes Versäumnis" in der komplexen Struktur des Antidiskriminierungsrechts existierte, wurde der Begriff "Intersektionalität" geboren. Ich wollte die verschiedenen Straßen aufzeigen, welche Unterdrückung aufgrund von Rasse und Geschlecht transportieren, sodass die Probleme einfacher zu diskutieren und zu verstehen sind.Kimberlé Crenshaw
Crenshaw beschäftigte sich 1989 erneut mit dem Fall. Mit ihrer Analyse wies sie darauf hin, dass die bestehenden rechtlichen Kategorien von Diskriminierung nicht ausreichten, um die komplexen Erfahrungen von Frauen zu erfassen, die sowohl aufgrund ihrer Rasse als auch ihres Geschlechts diskriminiert werden.
Kimberlé Crenshaw nutzt den Fall DeGraffenreid als Beispiel für das Konzept der Intersektionalität, das sie erstmals in ihrem bahnbrechenden Artikel „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics“ einführte, der im University of Chicago Legal Forum veröffentlicht wurde. In diesem Artikel argumentierte sie, dass die traditionellen Ansätze zur Diskriminierungsbekämpfung nicht in der Lage seien, die spezifischen Erfahrungen von schwarzen Frauen zu erfassen, da diese Ansätze meist entweder Rasse oder Geschlecht, aber nicht beides gleichzeitig berücksichtigten. Crenshaw machte sich dafür stark, die Schnittstellen mehrerer Diskriminierungsformen anzuerkennen und nicht länger zu ignorieren – denn Ignoranz führt zu einer stärkeren Marginalisierung und Unsichtbarkeit bestimmte Gruppen unsichtbar.
Intersektionale Perspektive im Verständnis von DE&I.
Das Konzept der Intersektionalität hat seitdem einen enormen Einfluss auf verschiedene Disziplinen, darunter Rechtswissenschaften, Soziologie, Gender Studies und Politik. Dank des Engagements von Kimberlé Crenshaw gibt es ein erweitertes Verständnis von Diskriminierung, das und hervorgehoben, wie wichtig es ist, die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Identitätsmerkmalen und den daraus resultierenden Diskriminierungsformen zu berücksichtigen.