Wenn sich Menschen sicher an ihrem Arbeitsplatz fühlen, entsteht ein Klima, in dem jede*r die Möglichkeit hat, das Beste aus sich rauszuholen. Nur: Was wenn es der Perspektive von Einzelnen nachvollziehbare Gründe gibt, Aspekte der eigenen Identität zu verbergen?
Covering ist eine Strategie, die viele Mitarbeiter*innen teils bewusst, teils unbewusst anwenden, um sich am Arbeitsplatz anzupassen und weniger aufzufallen. Diese unsichtbaren Barrieren hemmen die persönliche Entfaltung und gleichzeitig die Innovationskraft und das Wachstum von Organisationen.
In diesem Artikel möchte ich das Thema Covering beleuchten, um ein Bewusstsein für dieses Phänomen zu schaffen und Wege aufzuzeigen, wie wir gemeinsam eine offenere und inklusivere Arbeitskultur entwickeln können.
Was ist Covering?
Covering beschreibt das Verhalten von Menschen, bestimmte Aspekte ihrer Identität herunterzuspielen oder zu verbergen. Dabei kann es sich um Merkmale wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Behinderung, sozialer Status oder andere Dimensionen der Persönlichkeit umfassen. Covering kann als eine Art Schutzmechanismus interpretiert werden, um Unterschiede zwischen der eigenen Identität und einer vorherrschenden, vermeintlich normativen Identität zu minimieren.
Als ich das ersten Mal im Rahmen meiner DEI-Arbeit über dieses Konzept gestolpert bin, habe ich meine berufliche Biografie ein bisschen Revue passieren lassen. Und ja: Auch bei mir gab es Phasen und Momente, in denen ich selbst Facetten meines Selbst verdeckt habe – mal mit Absicht, mal unbewusst.
Covering vs. Passing: Der Unterschied zwischen Covering und Passing liegt hauptsächlich in der Absicht und dem Ausmaß der Verbergung und dem Kenntnisstand der Beteiligten.
Beim Passing ist für Außenstehende nicht ohne weiteres erkennbar, dass eine Person zu einer bestimmten Gruppe gehört. Die Person handelt bewusst passiv oder aktiv, um ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu verbergen. Bei einem Covering-Verhalten wissen andere, dass die Person einer bestimmten Gruppe angehört, weil die Person nicht willens oder in der Lage ist, dies zu verbergen. Gleichzeitig wird beim Covering versucht, vulnerable Merkmale der Identität in der Interaktionen mit anderen zu minimieren – ob diese leicht erkennbar sind oder nicht. Sowohl das Passing als auch das Covering sind Formen einer erzwungenen Anpassung.
Die vier Achsen von Covering.
Professor Yoshino entwickelte den Begriff Covering in seinem 2006 erschienenen Buch „Covering: The Hidden Assault on Our Civil Rights“, in dem er vier Achsen beschreibt, entlang derer Personen Covering-Strategien anwenden:
- Appearance-based Covering: Das Verändern des äußeren Erscheinungsbildes, um sich einer Mehrheitsgesellschaft anzupassen.
- Affiliation-based Covering: Das Vermeiden von Verhaltensweisen oder Aktivitäten, die mit einer bestimmten Gruppe assoziiert werden.
- Advocacy-based Covering: Die Zurückhaltung bei der Unterstützung oder Verteidigung der eigenen Gruppe.
- Association-based Covering: Die Distanzierung von anderen Mitgliedern der eigenen Gruppe.
Warum nutzen Menschen Covering-Strategien am Arbeitsplatz?
In den Publikationen von Deloitte und Professor Kenji Yoshino werden verschiedene Gründe, zusammengefasst, warum Mitarbeiter*innen Teile ihres Selbst verbergen:
-
- Angst vor Diskriminierung: Viele Arbeitnehmer*innen befürchten, aufgrund ihrer wahren Identität Nachteile zu erfahren.
-
- Bedürfnis nach Akzeptanz: Der Wunsch, von Kolleg*innen und Vorgesetzten akzeptiert zu werden, kann dazu führen, dass Mitarbeiter*innen bestimmte Aspekte ihrer Identität verbergen.
-
- Karrierechancen: Mitarbeiter*innen glauben oft, dass sie bessere Karrierechancen haben, wenn sie sich an die dominierende Unternehmenskultur zw. einem normativen Stereotyp anpassen.
Covering am Arbeitsplatz: Ein paar Zahlen, Daten und Fakten aus den USA.
Im Jahr 2013 untersuchte die Unternehmensberatung Deloitte den aktuellen Stand von Covering am Arbeitsplatz in den USA. Zehn Jahre später, 2023, befragte Deloitte in Zusammenarbeit mit dem Meltzer Center for Diversity, Equity & Inclusion über 1.269 Angestellte von US-Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeiter*innen. Die Ergebnisse dieser Umfrage wurden in der Studie „Uncovering culture – A call to action for leaders“ veröffentlicht. Die Studie beleuchtet die Gründe, Formen und Auswirkungen von Covering am Arbeitsplatz.
Covering ist ein universelles Verhaltensphänomen, das jede*r mal praktiziert. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Personen aus bestimmten marginalisierten Gruppen häufiger Aspekte ihrer Persönlichkeit verbergen als andere:
- Mit Blick auf das Geschlecht bzw. die geschlechtliche Identifikation waren Cis-Frauen eher bereit, Covering zu praktizieren als Cis-Männer (64 % vs. 45 %). Personen, die sich geschlechtlich als nicht-binär und/oder als transgender identifizieren gaben am häufigsten (68%) an, Facetten ihrer Identität am Arbeitsplatz zu verbergen.
- Während 56 % der weißen Befragten berichten, dass sie Covering anwenden, liegt die Häufigkeit von Covering bei Gruppen mit anderen ethnischen Zugehörigkeiten bei 62% und mehr.
- Auch was die sexuelle Orientierung anbelangt, führt der heteronormative Stereotyp dazu, dass nicht-heterosexuelle Arbeitnehmer*innen mit einer Häufigkeit von 69% eher covern als heterosexuelle (58%).
- Die intersektionale Analyse der Daten zeigt sogar auffällige Wechselwirkungen: Alle schwarzen Arbeitnehmer*innen mit queerer Zugehörigkeit sowie 93 % der schwarzen Arbeitnehmer*innen mit einer Behinderung gaben an, diese Aspekte ihrer Persönlichkeit zu verbergen. Was das Geschlecht betrifft, so gab ein wesentlich höherer Anteil unter den schwarzen und asiatischen Frauen (80% und 86%) an, Merkmale ihrer Persönlichkeit zu verbergen, als es bei schwarzen und asiatischen Männern (43% und 55%) der Fall war.
Was sind die Auswirkungen von Covering?
Covering birgt einen hohen Preis für das einzelne Individuum. Was genau das bedeutet, kannst du vielleicht erahnen, wenn du versuchst, dich in die nachfolgenden Situationen hineinzuversetzen:
Stell dir vor:
- Du erzählst nicht, von deinem Wochenende, weil du fürchtest, dass die Beziehung, die du mit deinem Herzensmenschen führst auf Ablehnung stößt.
- Du teilst nicht deine Sorgen um ein Elternteil, dass du neben deiner Vollzeittätigkeit zusammen mit deinen Geschwistern pflegst, weil du vermeiden möchtest, dass du als nicht leistungsfähig wahrgenommen wirst.
- Du erwähnst nicht, dass du eine mentale Erkrankung hattest, aus Angst vor dauerhafter Stigmatisierung.
- Du sprichst nicht über einen religiösen Feiertag, auf den du dich freust, um zu vermeiden, dass du dann weniger akzeptiert sein könntest.
Die durch das Covering erzwungene Assimilation kann zu Stress, einem deutlich geringerem Wohlbefinden und einem Gefühl der Isolation führen. Die ständige Anstrengung, bestimmte Aspekte der Identität zu verbergen, ist ein Kraftakt, der die psychische Gesundheit stark beeinträchtigen und zu Burnout führen kann.
Für Organisationen hat Covering zudem einen wirtschaftlichen Preis: Unternehmen verlieren an Vielfalt und Innovationskraft, wenn Mitarbeiter*innen sich nicht mit ihrem ganzen authentischen Selbst einbringen. Eine Kultur des Coverings mindert letztlich das Engagement und die Produktivität der Menschen und hat damit wirtschaftliche Nachteile für das Unternehmen.
Die Alternative: Eine „Uncovering Culture“ etablieren.
Fix the system, not the people: Um eine inklusive Kultur der Zugehörigkeit zu schaffen, können Organisationen den Fokus darauf richten, vorhandene Barrieren aufzubrechen. Eine „Uncovering Culture“ in der sich Mitarbeitende sicher und ermutigt fühlen, ihr authentisches Selbst zu enthüllen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, Facetten ihrer Identität oder Persönlichkeit zu verbergen oder anzupassen kann schrittweise gelingen.
- Bewusstsein schaffen: Schulungen und Workshops, die in eine DEI-Strategie eingebettet sind, um das Bewusstsein für Unconscious Bias und Covering zu erhöhen.
- Führungskräfte als Vorbilder: Führungskräfte können durch ihr eigenes authentisches Verhalten und Offenheit als Vorbilder agieren und in ihren Teams beginnen, eine psychologisch sichere Uncovering Culture zu entwickeln.
- Inklusive Richtlinien: Die Implementierung von Richtlinien, die Vielfalt und Inklusion fördern, sind ein wichtiges Signal für Mitarbeiter*innen – vorausgesetzt, es steht das Commitment der geschäftsführenden Personen dahinter.
- Unterstützungssysteme: Bereitstellung von Netzwerken und Ressourcen, die Mitarbeitende die Hemmung nehmen, ihre wahre Identität zu zeigen. Das können z.B. Employee Stories sein, die dazu beitragen, dass sich Mitarbeiter*innen mit den vorgestellten Kolleg*innen identifizieren und sich ermutigt fühlen, mehr von ihrem authentischen Selbst zu enthüllen.
Sensibilisieren und den Raum öffnen.
Covering ist eine oft unsichtbare Barriere, die mit einem hohen Mental Load verbunden ist. In Arbeitsumgebungen, in denen sich Covering lohnt, um nicht aufzufallen und keine Nachteile zu erfahren, werden Chancen versäumt, das volle Potenzial der Belegschaft zu entfalten. Indem wir für dieses Phänomen sensibilisieren und eine Uncovering-Kultur fördern, können wir inklusivere und produktivere Arbeitsumgebungen schaffen. Führungskräfte spielen dabei eine bedeutende Rolle: Indem sie ihre Offenheit demonstrieren, psychologische Sicherheit schaffen, inklusive Verhaltensweisen praktizieren und Entscheidungen treffen, die Diversität fördern, inspirieren sie andere in der Organisation und treiben den Wandel so mit voran.
Möchtest du wissen, welche Rolle Covering in deiner Organisation spielt? Dann lass uns gemeinsam den ersten Schritt machen, um zu erkennen wie stark Covering das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen beeinträchtigt und welche Ressourcen ihr nutzen könnt, um eine Uncovering Culture zu fördern.
Quellen:
Deloitte. (2013). Uncovering Talent: A New Model of Inclusion. Deloitte and Professor Kenji Yoshino. Link zur Studie: https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/about-deloitte/us-about-deloitte-uncovering-talent-a-new-model-of-inclusion.pdf
Deloitte. (2023). Uncovering Culture: The Critical Role of Inclusion in the Future of Work, Link zur Studie: https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/about-deloitte/dei/us-uncovering-culture-a-call-to-action-for-leaders.pdf